Pour les terminales:
voici les réponses de Carmen Rohrbach à vos questions, avec aussi quelques photos qu'elles vous envoie ainsi qu'un très gentil mail plein de compliments sur vous!!

Donau-radweg.jpg
Donau-radweg.jpg, avr. 2017

 

 

Autorenfoto_in_Shibam.jpg
 

 

mail_2_Carmen.png
 

1. Jugend in der DDR

* Waren Sie als Jugendliche politisch engagiert? Eher angepasst oder rebellisch?

Politisches Engagement war nicht freiwillig, es gehörte dazu wie Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Vom Kindergarten an, wurden uns politische Inhalte, Meinungen und Ansichten vermittelt. Andere, von der offiziellen Vorgabe abweichende Ideen waren nicht möglich. Eigenes Denken und Diskutieren wurde von den Lehrern unterbunden. Wir Schüler merkten nicht wirklich, wie wir manipuliert wurden, oder haben es verdrängt, denn wir wollten alle ein gutes Abitur machen und wenn möglich studieren.

Alle politischen Aktionen, wie zum Beispiel Demonstrationen am 1. Mai, Fahnenapell, Pioniernachmittage und FDJ-Versammlungen wurden angeordnet und waren Pflicht. FDJ = Freie Deutsche Jugend, also die Jugendorganisation in der DDR , man wurde automatisch Mitglied, wenn man 14 Jahre alt war. Es war Pflicht in diesen Jugendorganisationen zu sein, zuerst Junger Pionier, dann Thälmann Pionier, dann Freie Deutsche Jugend. Sobald man das entsprechende Alter erreicht hatte, wurde man automatisch Mitglied.


 

* Was hatten Sie als Kind in der DDR über die BRD gehört, bzw in der Schule gelernt?

Unsere Ausbildung in der Schule war sehr politisch, wir hatten extra politische Fächer, wie "Staatsbürgerkunde", aber auch in Geschichte, Erdkunde und im Deutschunterricht, gab es politische Unterweisungen über die Zeit des Faschismus zum Beispiel. Wobei wir lernten, dass die Menschen in der DDR die "Guten" seien, also diejenigen, die gegen den Faschismus gekämpft hätten. Wir wären die Kinder der Antifaschisten, wurde uns gesagt. Keiner wunderte sich, wahrscheinlich, weil es angenehm ist, zu den Kindern der Guten zu gehören. Kritisch zu denken, muss man lernen, wenn man immer nur eine Meinung hört, wie sollte man wissen, dass es eine Lüge ist?

Der andere Teil Deutschlands, die BRD, dagegen sei ein "stinkendes Nest" der Faschisten, dort sind alle ehemaligen Nazis in Amt und Würden, lernten wir. Überhaupt sei die BRD ein "Haifischbecken", wo jeder nur an sich selbst denkt, wo die Menschen ausgebeutet und unterdrückt werden. In der BRD herrscht der Kapitalismus, der aber dem Untergang geweiht ist. Der Sozialismus und später der Kommunismus wird den Kapitalismus besiegen und dann auf der ganzen Welt herrschen und den Menschen das Paradies auf Erden bereiten.

Wenn man als Kind keine andere gegensätzliche Meinung hört, nicht mal von den Eltern, dann hat man keine Wahl, als diesen Unsinn zu glauben. Denn es gab in meiner Familie zum Beispiel nur die Medien (Zeitung und Fernsehen), die von der DDR betrieben wurden.


 

* Haben Sie eine Lieblingserinnerung aus der DDR?

Erinnerungen an die Kindheit sind fast immer positiv, weil man jung war und das Leben noch offen und vielversprechend. Ich habe sehr schöne Erinnerungen an meine Eltern, die mit mir und meinen drei jüngeren Geschwistern viel in der Natur gewandert sind. Die Eltern waren sehr liebevoll und haben uns in allem unterstützt und beraten.

An die Schule habe ich keine einzige positive Erinnerung. Wahrscheinlich weil ich unbewusst gespürt habe, wie falsch und verlogen alles war. Aber es war mir eben nicht wirklich bewusst. Ich habe nur gemerkt, wie eng und beschränkt das Wissen war, dass man uns vermittelte und wie beschränkt dadurch unser Denken wurde.

Speziell eine Lieblingserinnerung an die DDR? Nicht wirklich, höchstens die Ernteeinsätze haben mir gefallen. Weil Arbeitsskräfte in der Landwirtschaft fehlten, musssten wir Schüler bei der Ernte helfen. Das war wunderbar, weil dann kein Schulunterricht stattfand, wir draußen in der Natur waren und uns bewegen konnten. Wir haben Kartoffeln gelesen, Rüben verzogen, Steine von den Feldern gesammelt, damit sie die Maschinen nicht beschädigen und Schädlinge wie Kartoffelkäfer gesammelt.

Gefallen haben mir auch die Kinderferienlager in den großen Sommerferien, weil ich da immer an die Ostsee durfte. An das Lager selber und die vielen Kinder kann ich mich nicht erinnern, auch da gab es Fahnanappelle und Kontrolle. Also nicht das Ferienlager selber hat mir gefallen, sondern das Meer, die Ostsee. Ich habe es oft geschafft, mich von der Gruppe wegzuschleichen und habe mir einen einsamen Platz in den Dünen gesucht, über das Meer geschaut und mit offenen Augen geträumt.


 

* Was halten Sie von der "Ostalgie"?

Oft ist es wahrscheinlich nicht wirklich eine Glorifizierung der DDR, sondern der eigenen Kindheit und Jugend, die man eben in der DDR erlebt hat. Vielleicht befürchten viele ehemaligen DDR-Bürger, wenn über diese Zeit schlecht geredet wird, dass dann auch ihre Jugend damit annuliert werden soll.

Es gibt aber auch Menschen, die vom DDR-Regime Vorteile hatten, denen sie nun nachtrauern.


 

* Wann haben Sie verstanden, dass Ihre Träume in der DDR nicht realisierbar waren?

Ich war bis zuletzt überzeugt, dass ich sie in der DDR verwirklichen kann. Natürlich war mir mit so etwa 14 Jahren klar, dass ich nicht auf den Galapagosinseln, nicht in Afrika oder Australien forschen kann, aber ich meinte, auch die sozialitischen Länder wie die Mongolei, Kuba, Rumänien, Bulgarien, die Sowjetunion haben Naturlandschaften, wo ich Tiere beobachten und erforschen kann. Erst als alle meine Anträge zur Forschungsarbeit in diese Länder abgelehnt wurden, weil ich Verwandte in Westdeutschland hatte, begriff ich, dass ich in der DDR gefangen war.


 

2. der Fluchtversuch

* Waren ihre Eltern/ Geschwister über Ihre Fluchtpläne informiert? Wenn ja, haben sie Sie unterstützt?

Weder Eltern noch Geschwister durfte ich einweihen. Ob die Flucht gelungen wäre oder nicht gelingen würde, sie wären in jedem Fall eingesperrt worden und hätten ein Jahr Gefängnis nur für das Wissen bekommen und mehr Jahre, wenn sie mir irgendwie geholfen hätten, vielleicht einen warmen Pullover, Essen oder sonst etwas mitgegeben hätten. Im Gefängnis traf ich auf eine alte Frau, sie hatte ihrem Enkel Butterbrote geschmiert und ist dafür zwei Jahre eingesperrt worden. Ich wusste, dass meine Eltern nicht lügen können und dass die Staatssicherheit sie so unter Druck setzen würde, dass sie gestehen würden, wenn sie etwas gewusst hätten.


 

* War es für Sie eine leichte oder eine schwere Entscheidung?

Sie war leicht und zugleich unheimlich schwer. Leicht, weil ich durch die Möglichkeit zur Flucht plötzlich Licht in einem dunklen Tunnel sah. Weil ich nun endlich die Chance hatte, mein Leben in die eigenen Hände zu nehmen, nicht mehr fremdbestimmt zu sein und meine Ziele verwirklichen zu können. Schwer, unglaublich schwer, weil ich mich nicht von Eltern und Geschwistern verabschieden konnte, weil ich sie für immer verließ und nie mehr würde sehen können. Wenn die Flucht gelungen wäre, wären wir für immer getrennt gewesen. Ich wäre ja sofort eingesperrt worden, auch noch nach vielen Jahren, wenn ich meine Eltern hätte besuchen wollen und sie ihrerseits hätten mich nie in Westdeutschland besuchen dürfen. Niemand ahnte ja damals, dass die Mauer fallen und es ein einheitliches Deutschland geben würde. So plante ich also meine Flucht mit dem Bewusstsein, dass es ein Abschied für immer sei. Zudem verließ ich alles was ich bis dahin gekannt hatte, was mein Leben ausgemacht hatte, meine Heimat, meine Freunde - ALLES.


 

* Was ist aus Ihrem Freund geworden, der mit Ihnen geflohen war?

Mein Freund Jürgen Dallüge hat sich sofort von mir getrennt. Er war einige Wochen vor mir freigelassen worden und hatte sich schon eingerichtet in seinem neuen Leben in der BRD. Er wollte neu beginnen und dabei störte ich, denn ich war ein Teil seines früheren Lebens. Er sagte zu mir, für ihn beginnt nun die "Stunde Null". Ich fand das einen sehr dummen Satz. Denn damit würde man ja sein ganzes bisheriges Leben wegwerfen.

Ich war wirklich traurig und verzweifelt, weil er mich im Stich ließ und mir bewusst wurde, dass er mich gar nicht geliebt hatte, sondern mich nur für die Flucht gebraucht hatte, denn gemeinsam zu fliehen, war einfacher für ihn. Allein hätte er es nicht gewagt. Erst später habe ich erfahren, dass er schon einmal sich zur Flucht entschlossen hatte, als er mich noch nicht kannte, dann aber wieder umgekehrt war.

Ich hätte nicht erwartet, dass er mich in der BRD im Stich lässt. Soviel Kälte und Rücksichtslosigkeit hätte ich ihm nicht zugetraut. Aber im Rückblick war es gut für mich, so konnte ich ohne mich an ihn anpassen zu müssen, meinen eigenen Weg gehen und musste keine Kompromisse bei der Verfolgung meiner Ziele eingehen.

Als ich in Westdeutschland ankam, hat er nicht einmal versucht, mich zu treffen. Ich musste ihn suchen, und als ich ihn endlich gefunden hatte, haben wir uns nur kurz gesehen, weil er keine Zeit mit mir verschwenden wollte. Also, ein kaltherziger Mensch. Solche Menschen gibt es zum Glück nur wenige, mir ist nur dieser eine begegnet.


 

* Kennen Sie Personen, denen die Flucht gelungen ist?

Ich kenne einige, aber nicht persönlich, sondern durch Bücher und Berichte.


 

* Kannten Sie die Risiken, falls Sie verhaftet wurden?

Ja, es war uns völlig klar, dass wir mit Gefängnis bestraft werden würden. Ich fragte meinen Freund vor der Flucht: "Was denkst du, wie lange werden sie uns einsperren, wenn sie uns erwischen?" Er sagte: "zwei bis drei Jahre". Und so war es dann auch. Ich wurde zu zwei Jahren und acht Monaten verurteilt.


 

* Warum haben Sie gewählt durch das Meer und nicht durch das Land zu fliehen?

Das Meer, also die Ostsee, war der einzige Weg, wo man nicht erschossen oder durch Minen zerfetzt wurde. Alle Grenzen an Land, diejenigen in der DDR, aber auch der CSSR, Ungarn und Bulgariens waren damals tödlich. Die Grenzer haben sofort geschossen, es gab Selbstschussanlagen und Minen.

Es gab damals, als ich flüchtete noch nicht die Möglichkeit Ausreiseanträge zu stellen, oder Botschaften zu besetzen, wie später in Prag. Es gab nur die FLUCHT. Manche haben es mit Fluchthelfer versucht, aber da hätten Leute in der BRD Kontakt zu diesen Fluchthelferorganisationen treten müssen, denn die gab es nur dort.


 

* Wie haben Sie die 2 Tage im Meer ohne Schlaf und Essen überlebt?

Ich hätte niemals gedacht, dass ein Mensch so lange schwimmen kann. Ohne Neoprenanzug wäre es nicht möglich gewesen, schon nach wenigen Stunden wären wir unterkühlt gewesen. Dass wir nichts essen konnten, war nicht das Problem. Wegen der körperlichen Anstrenung hatte ich keinen Hunger. Schwieriger war, zwei Nächte nicht zu schlafen. Doch da wir uns ja immer bewegten, überspielten wir das Schlafbedürfnis. Mir zeigte dieses Erleben, dass der Mensche mehr aushält, als er sich zuvor zugetraut hat.


 

* Wie haben Sie reagiert, als Sie gesehen haben, dass das Boot polnisch war?

Wir haben sofort englisch gesprochen, damit die Polen nicht denken, dass wir Deutsche sind. Wir haben denen auf Englisch gesagt, wir seien Dänen seien und unser Schiff würde gleich kommen, um uns abzuholen.


 

* Gab es im Allgemein Personen, die beim Fliehen geholfen haben, oder die dafür bezahlt wurden?

Nein, da gab es bei uns niemand. Keiner hat geholfen oder wusste von der Flucht.

Bei anderen Flüchtlingen gab es schon Fluchthelfer. Leute die DDR-Bürger im Kofferraum über die Grenze geschmuggelt haben, auch Organisationen, die gegen Bezahlung eine Fluchthilfe durchgeführt haben.


 

* Gab es einen politischen Grund an Ihrem Flucht?

Wann ist ein Grund politisch? Wir waren keine Widerstandskämpfer, wir hatten keine Flugblätter verteilt oder sonst irgendwie gegen das Regime protestiert. Aber wenn ein Regime seinen Bürgern keine Möglichkeit lässt, sein eigenes Leben zu gestalten, selbstverantwortlich Entscheidungen zu treffen - ist das dann nicht doch irgendwie ein politischer Grund, weil Unrecht ist, wenn ein Staat die Menschen in Unfreiheit hält.


 

3. die Gefängniszeit

* Wie waren die Lebensbedigungen? Haben Sie während den 2 Jahren im Gefängnis Ihre Familie sehen können?

Alle vier Monate durfte mich Vater oder Mutter besuchen für etwa 15-20 Minuten. Nie durften beide gemeinsam mich sehen. Sie mussten sich immer entscheiden. Meist kam meine Mutter, weil es für meinen Vater eine zu starke seelische Belastung war.

Die Lebensbedingungen waren unglaublich. 2000 Frauen in einem Gefängnis, das nur für 500 Personen ausgelegt war. Alles war so schlecht, wie man es sich nie hätte vorstellen können.


 

* Konnten Sie dort weiter studieren?

Nein, es gab nicht einmal Zeitungen. Nichts. Wir mussten im 3 Schichtsystem arbeiten. Hatten keinen Raum, wo wir einen Tisch oder Stühle gehabt hätten. Der Raum war nur mit Betten vollgestellt, die von einer Seite zur anderen reichten, nur an der Tür war einen Meter Platz. Und es waren drei Betten übereinander. Wer ganz oben im Bett lag, hatte nur knapp einen halben Meter bis zur Decke. Wir arbeiteten und schliefen, nichts anderes gab es in dieser Zeit.


 

* Haben Sie Ihren Fluchtversuch zu dieser Zeit bedauert?

Nein, im Gegenteil. Die menschenunwürdigen Zustände im Gefängnis und die demütigende Behandlung bewies mir, dass es ein menschenverachtender Staat war und ich Recht daran getan hatte, ihn zu verlassen.


 

* Hat Ihre Familie Probleme gehabt, weil Sie geflüchtet waren?

Ich wusste, als ich mich zur Flucht entschloss, dass es Sippenhaft gab, dass also die Geschwister und Eltern oder auch die Großeltern bestraft werden. Auch wenn sie nichts wussten, dann nicht mit Gefängnis, sondern mit verschiedenen Schickanen, zum Beispiel, dass die Geschwister nicht Abitur machen oder nicht studieren dürfen, die Eltern ihren Beruf verlieren, sie in eine kleine Wohnung umziehen müssen und vieles mehr.

Da ich aber aus einer dem Staat gegenüber positiv eingestellten Familie kam, mein Vater und meine Schwester waren in der SED, und auch sonst waren wir nie negativ aufgefallen, war ich mir ziemlich sicher, dass sie bei uns eine Ausnahme machen würden. Das hat mir die Entscheidung zur Flucht erleichtert. Denn ich hätte nicht gewollt, dass meine Angehörigen wegen meiner Tat leiden müssen. Und so war es dann auch. Meine Schwester durfte ihr Medizinstudium beenden, mein einer Bruder sein Lehrerstudium beginnen und mein jüngster Bruder Abitur machen. Allerdings, meinen Vater, obwohl oder gerade weil er Genosse war, hat man schickaniert. Er war Lehrer an der Oberschule, musste an die Grundschule wechseln, dann zur Berufsschule, zuletzt war er Hausmeister.


 

* Fall. Haben Sie auch irgendwann Ihren Stasi-Bericht gelesen?

Ja, sofort als es möglich war, habe ich den Antrag gestellt und bin in die Zentrale nach Berlin gefahren. Ich war sehr neugierig, wer von meinen Freunden, Bekannten, Familienangehörigen ein Spitzel war. Ich bin ein neugieriger Mensch, ich hätte es unbedingt wissen wollen, und ich wusste, der Verrat würde mich nicht seelisch belasten. Auch weil ich wusste, wie leicht man in der DDR zum Spitzel werden konnte, ohne es eigentlich zu wollen. Die Stasi hatte da schlimme Methoden. Aber NICHTS! Keine Hinweise auf Spitzelleien. In den Akten waren nur die Informationen über die Gerichtsverhandlung, den Gefängnisaufenthalt und die Briefe meiner Eltern, die man mir nicht ausgehändigt und meine eigenen, die man nicht abgeschickt hatte.

Aber so weiß ich wenigstens wie die Richter und Staatsanwälte hießen, die mich verurteilt hatten und auch die Namen der Gefängnisleitung und des Wachpersonals kenne ich nun.


 

* Leiden Sie oder haben Sie gelitten an körperliche oder/ und psychologische Folgen seit Ihrem Fluchtversuch?

Nein, überhaupt nicht. Das alles hat mich gestärkt und motiviert. Wahrscheinlich bin ich aber die Einzige, die so positiv aus dem Negativenerleben hervorgegangen ist. Die meisten leiden bis heute, nach so vielen Jahrzehnten an seelischen und körperlichen Folgen. Mir hat geholfen, dass ich mich im Gefängnis gewehrt habe, dass ich aufmüpfig war, mir nichts gefallen ließ, sogar Arbeitsverweigerung und Hungerstreik habe ich gemacht und wurde dafür in den Bunker gesteckt. Ich habe das tun müssen, um den Machthabern zu beweisen, dass ich jetzt ein Gegner des Regimes bin, ein Staatsgegner. Nicht mehr angepasst zu sein, gab mir ein berauschendes Freiheitsgefühl. So habe ich mich selbst im Gefängnis frei gefühlt. Ich habe freiwillig mich dafür entschieden, dass meine Haftbedingungen noch mal schlimmer waren, als sowieso schon, aber wie gesagt, gerade das hat mir geholfen, dass ich keine Schäden erlitten habe. Ich muss dazu mitteilen, dass ich früher schon als Jugendliche für Expeditionen in die Wildnis hart trainiert habe, zum Beispiel Kälte, Hunger, Durst so lange wie möglich auszuhalten. Deshalb wusste ich, wie mein Körper auf Nahrungsentzug und Wassermangel und Kälte reagiert und was ich machen muss, dass es möglichst keine Folgeschäden gibt.


 

4. der Freikauf

* Wissen Sie, wie die BRD Sie freigekauft hat? Gegen Geld oder gegen Gefangenen?

Weder noch, sondern gegen Devisen. Also, das ist ja eigentlich auch Geld, aber das wurde nicht in Scheinen und Münzen ausgezahlt, sondern mit Handelsgütern verrechnet.

Ich habe 40 000 DM gekostet.


 

* Hat die BRD alle Gefangenen freigekauft oder hat sie gewählt, wen sie im Westen haben wollte?

Die BRD konnte gar nicht bestimmen, wenn sie haben wollte. Sie mussten die jenigen nehmen, die die DDR freigab. Wohl hat die BRD eine Liste zusammengestellt (diese Liste haben Rechtsanwälte geschrieben, auf Grund der Anträge der Angehörigen von den Gefangenen) und die DDR hat hat ausgewählt und entschieden. Nicht alle kamen in den Westen. Die DDR hat manche einfach nicht frei gegeben, ohne die Gründe zu nennen.


 

5. in der BRD

* Was haben Sie als Erstes als freie Frau gemacht?

Am ersten Tag in Freiheit bin ich hinaus in die Natur geegangen, habe mich an einen Teich gesetzt und den Fröschen beim Quaken zugehört.

Dann habe ich Briefe an verschiedene Persönlichkeiten geschrieben, Wissenschaftler, Journalisten, Schriftsteller, Expeditionsausrüster und habe um Rat gefragt, was ich tun kann, um an einer Expedition teilzunehmen. Niemand hat geantwortet.

Daraufhin bin ich zu einer Universität gefahren und habe mich dort nach der Adresse des Institut des Verrhaltensforschers und Nobelpreisträgers Konrad Lorenz erkundigt. Dann habe ich dort angerufen und bin hingefahren, habe dort ein Praktikum gemacht und bekam eine Forschungsaufgabe, konnte Promovieren und anschließend einen Forschungssauftrag für die Galapagoss-Inseln.

Viel anderes habe ich in den ersten Jahren nicht gemacht, also keine Vergnügungen und kein Shopping oder so etwas. Ich musste alle meine Kraft und meine Zeit dafür investieren, dass ich mein Leben aufbauen kann. Wenn man allein in einem fremden Land ist (und die BRD war fremd für mich, zwar die gleiche Sprache, aber sonst alles ganz anders) muss man ganz konsequent, zielgerichtet und zielstrebig sein. Zudem wollte ich ja etwas, was auch in Westdeutschland selten ist: nämlich Expeditionen und Forschungsreisen. Da war es noch mal um einiges schwerer, das aufzubauen, als wenn man einen normalen Beruf ansteuert.


 

*Haben Sie in der BRD die anderen Mitglieder Ihrer Familie getroffen?

Nur kurz. Denn ich kannte die kaum und mich verband eigentlich nichts mit ihnen. Sie waren mir fremd. Es waren entfernte Verwandte.


 

* Welche Unterschiede haben Sie zwischen BRD und DDR beeindruckt?

Eine schwierige Frage. Ich habe lange darüber nachgedacht. Natürlich gibt es viele Unterschiede, eigentlich nur Unterschiede und kaum Gemeinsamkeiten, denn es sind ja zwei grundlegend verschiedene politische Systeme. Aber beeindruckt, ich weiß nicht? Da ich Westdeutschland als fremdes Land empfand, war ich von allem beeindruckt und gleichzeitig herausgefordert zu lernen und mich anzupassen und zugleich mein Weltbild zu erweitern und neu zu ordnen.


 

* Gab es trozdem positive Punkte in der DDR?

Sicher gab es die. Aber wie fast immer, was man bekommt, hält man für selbstverständlich und nimmt es als gegeben hin.

Als positiven Punkt kann ich anführen, dass wir Studenten für unser Studium nicht zahlen mussten und jeder ein Stipendium erhielt, von dem man leben konnte, ohne Geld von den Eltern zu benötigen. Und dieses Stipendium musste nicht zurückgezahlt werden.

In Westdeutschland ist das anders.


 

* Gab es im Studium und bei den Studenten Unterschiede zwischen DDR und BRD?

Oh, das ist schwer zu beurteilen. Kommt ja darauf an, was man studiert, welches Fach.

Wir Biologiestundenten hatten in der DDR mehr Freiheit als andere Studenten, weil wir viel in der Natur waren, Exkursionen gemacht haben, Tiere beobachtet, Pflanzen gesammelt. Insgesamt war das Studium geregelter als in der BRD, also vorgegeben, welche Fächer und welche Abschlüsse man machen muss. Das machte aber das Studium auch einfacher, man konnte nicht bummeln konnte, man musste sein Studium in der vorgegeben Zeit beenden.


 

* Warum haben Sie angefangen, Bücher zu schreiben?

Geschrieben habe ich schon als Kind und Jugendliche in der DDR. Kleine Geschichten und Beobachtungen, die sogar in der Zeitung veröffentlicht wurden.

Ich wusste, ich will auch später als Erwachsene Bücher schreiben, nur habe ich gedacht, davon kann man nicht leben, denn man bekommt ja nicht genug Geld für ein Buch. Deshalb wollte ich die Bücher neben meinem eigentlichen Beruf als Biologin schreiben. Doch dann habe ich immer mehr Zeit mit dem Bücherschreiben verbracht, so dass ich mich entscheiden musste. Beides nebeneinander ging nicht. Allein vom Bücherschreiben kann ich auch heute nicht leben, doch ich werde oft zu Vorträgen eingeladen und bekomme dafür ein Honorar, zusammen mit den Erträgen aus den Büchern, geht es mir finanziell ganz gut.


 

* Haben Sie auch über Ihr Leben in der DDR geschrieben?

Ja, das Buch heißt "So lange ich atme"

Ich wollte einen anderen Titel: "Flucht aus dem Paradies", weil uns in der DDR immer erzählt wurde, dass wir das Paradies auf Erden aufbauen. Doch der Verlag wollte diesen Titel nicht, weil den in der BRD niemand verstanden hätte, denn die wenigsten kannten diese DDR-Propaganda.


 

* Woher kommt Ihre Lust auf Reisen?

Das haben sich meine Eltern auch gefragt, als ich noch Kind war. Niemand in der Familie oder Verwandtschaft hatte solche Ideen.

Aber eigentlich reise ich gar nicht, sondern mache Expeditionen, bin auf abenteuerliche Weise unterwegs. Eine Urlaubsreise habe ich noch nie gemacht und werde das sicherlich auch nicht machen.


 

* Was haben Sie empfunden, als Sie zum ersten Mal gereist sind?

Es ist immer wieder wie das erste Mal. Denn jedes neue Ziel ist ja unbekannt, neu, abenteuerlich und eine Herausforderung. Ich bin jedesmal von neuem aufgeregt, nie weiß ich bei meinen Unternehmungen, wie sie ausgehen.

Als nächstes plane ich eine Überwinterung in einer Blockhütte im Norden Kanadas, nahe der Grenze zu Alaska. Die Hütte ist eine ganz einfache Trapperhütte, ohne Heizung (da muss ich selbst Holz hacken), kein Strom (also kein Telefon, Internet) und kein Wasseranschluss. Wasser kann ich nur aus dem See bekommen, dessen Eisdecke ich jeden Morgen neu aufsägen muss. Es gibt auch im Umkreis von 300 Kilometer keine Straße, keine andere Hütte, keine Ortschaft. Ich bin auf mich allein gestellt. Ich freuee mich schon auf diese extreme Herausforderung und will über diese Erlebnisse wieder ein Buch schreiben.


 

6. nach der Wiedervereinigung

* Haben Sie Gefängnisfreundinnen wiedergesehen?

Mit fünf Freundinnen, die wir uns im Gefängnis kennengeleernt haben, treffen wir uns jedes Jahr wenigstens ein Mal.


 

* Konnten Sie Ihre Eltern wiedertreffen?

Ein riesiger Vorteil der Gefangenschaft war, dass ich meine Eltern und Geschwister sofort und so oft wir wollten uns in der CSSR wiedersehen konnten. Denn ich hatte meine Strafe ja verbüßt und die DDR hatte mich in die BRD entlassen, dafür habe ich sogar eine Urkunde bekommen: "Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR" mit Stempel des Ministers des Inneren. Doch wir konnten uns zehn Jahre lang eben nur in der CSSR treffen, denn für die DDR galt ich als unerwünschte Person. Sie gaben mir auch kein Einreisegenehmigung als meine drei Geschwister nacheinander heirateten. In der CSSR hätten wir uns bei gelungener Flucht nicht treffen können, die CSSR hätte mich sofort an die DDR ausgeliefert.


 

* Würden Sie heute das Gleiche wiedermachen?

Wenn die Zeit zurückgedreht würde und wieder die gleichen Bedingungen herrschen, würde ich es natürlich wieder tun. Ich hatte ja vorher alles versucht, meine berufliche Vorstellung von Forschungsarbeit zu verwirklichen.